Vor kurzem hatte ich die Gelegenheit, ein ausführliches Interview zum Thema Selfpublishing und Verlagsarbeit mit Ariane Hesse und Corina Pahrmann vom Kölner O’Reilly Verlag zu führen. Viel Spass beim Lesen!
Martin Glanert: Fangen wir am besten an, indem ihr euch kurz vorstellt.
Ariane: Mein Name ist Ariane Hesse, ich bin Lektorats- und Programmleiterin beim O’Reilly Verlag. Ich manage dort das Lektorats- und Herstellungsteam. Die Lektoren betreuen die Autoren und ihre Buchprojekte, während die Herstellung die technische Umsetzung und Fertigstellung der Bücher – ob Print oder E-Book – übernimmt.
Corina: Mein Name ist Corina Pahrmann, ich bin freie PR-Redakteurin für den O’Reilly Verlag. Ich sorge dafür, dass die Bücher ihre jeweiligen Zielgruppen erreichen. Außerdem unterstützt der Verlag verschiedene Communities und Veranstaltungen durch spezielle Sponsoringprogramme und -kooperationen. Auch das gehört in den Aufgabenbereich PR/Marketing.
Martin Glanert: Bei dem Erfolg, den manche Leute mit der Selbstpublikation haben, könnte man den Eindruck gewinnen, dass dieses Verlagswesen sich irgendwie selbst überlebt hat. Auf der anderen Seite gibt es euch ja noch, der Verlag läuft sozusagen gut. Es werden viele Bücher veröffentlicht, die Taktrate ist relativ hoch. Könnt ihr ein bisschen über dieses Spannungsfeld erzählen?
Ariane: Aus der Buchbranchen-Perspektive kann man sagen, dass Self-Publishing über die letzten Jahre absolut salonfähig geworden ist. Auf den letzten Buchmessen gab es beispielsweise viele Aussteller und ein umfangreiches Programm zum Thema Selfpublishing. Es wird in der Buchbranche wahrgenommen. In deiner Anmoderation hast du bereits gesagt, dass es zum Teil riesige Erfolgs-Stories gibt – ja, das stimmt. Es gibt aber genauso viele im Selbstverlag oder per Self-Publishing publizierte Titel, die kaum zur Kenntnis genommen werden. Außerdem haben Verlage ein ganz anderes Geschäftsmodell und Selbstverständnis als Self-Publishing-Plattformen. Bei der Self-Publishing-Plattform ist es ja so, dass der Autor seinen fertigen Text vorlegt und der Plattform nur noch den Vertrieb, die Logistik, sowie die technische Umsetzung überträgt. Einige Plattformen bieten natürlich auch so etwas wie ein Lektoratspaket an, doch auch dann ist es so, dass sich der sogenannte Lektor, der wahrscheinlich eher ein Sprachkorrektorat macht, mit dem fertigen Text beschäftigt. Bei uns im Verlag ist das anders. Wir steigen viel früher in den Prozess ein. Das ist eine aktivere Art des Publizierens. Wir wollen ein Programm machen. Dabei halten wir Ausschau nach interessanten Themen und versuchen, den richtigen Publikationszeitpunkt zu treffen – d.h. wenn ein Thema schon so etabliert ist, dass man mit einem entsprechenden Buch eine breitere Zielgruppe ansprechen und auch wirtschaftlich erfolgreich sein kann. Wir beschäftigen uns also sehr mit der Ideen- und Themenfindung und damit, aktiv Programm zu machen. Die Self-Publisher stellen der Öffentlichkeit bestimmte Inhalte zur Verfügung und es ist eine tolle Sache, dass diese Möglichkeit besteht. Aber ein Verlag arbeitet anders. Autoren bekommen bei uns viel Aufmerksamkeit. Der Lektor betreut einen Autor von Anfang an und überlegt zum Beispiel auch, in welcher Reihe ein Buch erscheinen soll. Ein Autor hat bei uns die Chance, in einer gut ausgearbeiteten Reihe publiziert zu werden.
Corina: Wir versuchen außerdem immer, eine Plattform für den Austausch der Autoren untereinander zu finden, zum Beispiel im Rahmen eines Autorenfrühstücks auf der re:publica. Hinzu kommt, dass wir seit vielen Jahren sehr enge Kontakte zu verschiedenen Veranstaltern haben, also zu BarCamps oder Usergroup-Veranstaltungen. Es gibt Veranstaltungen, die wir traditionell jedes Jahr begleiten, wodurch unsere Bücher eine größere Chance haben, bereits frühzeitig wahrgenommen zu werden. Für einen Self-Publisher, der ebenfalls solche Kontakte hat und viele Veranstaltungen besucht, ist das alles kein Problem. Aber jemand, der sich vorrangig auf das Schreiben konzentriert, profitiert enorm davon, dass wir schon frühzeitig Kontakte aufgebaut haben. So sind zum Beispiel Autoren anderer Bücher als Fachgutachter möglich. Und aus meiner Erfahrung als Autorin kann ich bestätigen, dass daraus meist sehr frühzeitig hochwertiges Feedback entsteht. Das Feedback der Lektorin und das Reihenkonzept, das Ariane angesprochen hat, hilft mir sehr bei meinem Schreibprozess. Nicht jeder ist darin gleichermaßen geübt. Wir haben viel mit Fachleuten zu tun, die in erster Linie keine Autorenausbildung, sondern eine Ausbildung in einem bestimmten Bereich ihres Faches gemacht haben. Manchen fällt das Schreiben sehr leicht, anderen hingegen nicht. Diese Autoren erhalten früh im Projekt sehr viel Unterstützung und Hilfestellung, der Rotstift wird also nicht erst nach der Abgabe angesetzt.
Martin Glanert: Vielleicht können wir euren Prozess einmal gemeinsam durchlaufen, für Außenstehende gibt es sicher viele Unklarheiten. Wie kommen die Autoren denn zu euch? Ihr habt zum Beispiel erzählt, dass ihr aktiv auf der Suche seid. Sichtet ihr, was in einer Szene gerade angesagt ist? Zum Beispiel, wer einen interessanten Vortrag gehalten hat oder was es für Trendthemen gibt, die in nächster Zeit Massenmarkt-tauglich werden sollen? Kommen die meisten Autoren auf euch zu oder ist es eher umgekehrt? Wie kommt dieser erste Kontakt zustande?
Ariane: Die meisten Bücher, die wir publizieren, gehen auf unsere Initiative zurück. Wir sprechen die potenziellen Autoren aktiv an. Es kommt auch vor, dass Autoren in einem Themenkreis arbeiten und ihre Kollegen an uns weiter empfehlen. So funktioniert es meistens. Natürlich kann es trotzdem vorkommen, dass wir ein unverlangt eingesendetes Manuskript publizieren. Wenn uns jemand anschreibt, der offensichtlich sehr kompetent ist, überlegen wir auch, ob wir diese Energie nicht irgendwie umlenken und das Wissen anders für ein Projekt nutzen können.
Martin Glanert: Der erste Kontakt kommt also seltener zustande, weil jemand aktiv an euch herantritt. Stattdessen erscheint jemand irgendwie bei euch auf der Bildfläche. Wie passiert das? Ihr habt ja schon von Veranstaltungen und Netzwerken anderer Autoren gesprochen. Folgt ihr potentiellen Neuzugängen dann zunächst auf Twitter, lest ihr deren Blog oder wie entscheidet ihr letztendlich, ob jemand als Autor für euch in Frage kommt?
Corina: (lacht) Also, zuerst gibt es da natürlich das Stalking-Programm von der Marketingabteilung. Nein, ein Scherz. Ariane kann mehr dazu sagen.
Ariane: Wir schauen natürlich, was man in der Weböffentlichkeit sehen kann, was potenzielle Autorinnen so machen. Das ist ja heutzutage natürlich viel einfacher als noch vor 15 Jahren. Anschließend nehmen wir Kontakt auf, tauschen uns über eine Idee aus, entwickeln ein Konzept und klären Erwartungshaltungen ab: Was ist finanziell zu erwarten, wenn man ein Buch schreibt? Wie viel Zeit muss der Autor investieren? Es ist wichtig, dass die Autoren hier eine realistische Erwartung haben und wissen, worauf sie sich einlassen. Denn je nach Reihenformat und Umfang und je nachdem, wie vertraut der Autor mit einem Thema ist, kann eine Menge Arbeit auf ihn zukommen. Das muss klar sein. Sobald sich Lektor und Autor darüber einig sind, ein gutes Konzept zu haben, wird es in einer Programmkonferenz verabschiedet. Schließlich müssen auch die Kollegen vom Marketing und Vertrieb davon überzeugt sein, dass wir die jeweilige Idee wirtschaftlich sinnvoll vermarkten können. Dieser Entscheidungsprozess dauert jedoch in einem kleinen Verlag, wie bei uns, nicht lange. Danach geht es dann um die Produktion: Wie erfasst der Autor sein Manuskript, welche Termine und Milestones gibt es? Es wird ein Verlagsvertrag aufgesetzt, in dem die finanziellen Rahmenbedingungen, die Konditionen, die Tantiemen und der Abgabetermin bzw. Zwischenabgabetermine festgelegt werden. Ein Verlag ist natürlich auch ein Unternehmen und plant für das Jahr eine Zahl von Produkten, mit denen eine gewisse Umsatzerwartung verbunden ist. Wenn sich ein Buch etwas verzögert, ist das nicht schlimm. Trotzdem sind wir natürlich darauf angewiesen, dass der Autor auch wirklich an seinem Projekt arbeitet, sich entsprechend Zeit frei hält und sein Werk letztendlich abliefert. Und zwar so ähnlich wie prognostiziert.
Corina: Ja, das hat vor allem logistische Gründe. Die Vertriebler müssen ein Buch ausreichend früh im Handel ankündigen können. Personelle Zeitplanung spielt natürlich auch eine Rolle. Die Marketingabteilung muss ungefähr wissen, wie viel Zeit eingeplant werden muss, das Lektorat dafür sorgen, dass Korrektoren verfügbar sind.
Ariane: Es geht um die ganze Dienstleistungskette: wir arbeiten mit externen Sprachkorrektoren, die nur sprachliche Richtigkeit überprüfen und das druckfertige Layout erstellen. Und die Druckerei muss letztlich auch Bescheid wissen, wann sie die Druckdaten übergeben bekommt.
Corina: Manchmal haben wir im Marketing das große Glück, dass gleichzeitig mit dem Erscheinen eines Buches eine Veranstaltung stattfindet. In so einem Fall wäre es sehr schade, wenn sich das Buch einen Monat verzögern würde und man die Chance verpasst, es der versammelten Community zu präsentieren.
Martin Glanert: Und dann ist das Buch fertig. Auf die Vermarktung bist du schon eingegangen. Das ist ja wahrscheinlich die große Krux beim Self-Publishing. Jemand schreibt ein Buch, vielleicht sogar ein gutes, aber irgendwie wird es nicht gefunden, keiner liest es. Einer der deutlichsten Vorteile bei einem Verlag ist also, dass sich jemand weiter darum kümmert, das Buch wirklich an den Mann zu bringen. Was für eine Maschine rollt dann so an, wenn das Buch fertig ist?
Corina: Das Interessante ist eigentlich, dass die Maschine schon viel früher anrollt, also bereits während des Schreibprozesses. Wir haben schon lange vorher Meetings, bei denen die Lektoren den Marketing- und VertriebskollegInnen vom Projekt berichten. Wir informieren uns über die Autoren, wie diese in die Communitys eingebunden sind und wen wir ansprechen können. Außerdem recherchieren wir, welche Journalisten oder Medien sich dafür interessieren könnten. Die Autoren können ebenfalls Vorschläge machen, wo das Buch untergebracht werden könnte. Gleichzeitig reist der Vertrieb etwa ein Vierteljahr vor der Veröffentlichung durch den Buchhandel, um das Buch schon einmal vorzustellen.
In dem Moment, in dem der Vertrag unterzeichnet wird, erfahren wir von der Existenz des Projekts und ich folge den Autoren anschließend auf Twitter und lese ihre Blogs, falls vorhanden. Wir überlegen schon vorher, welche Plattformen es gibt und welche Veranstaltungen für das Projekt in Frage kommen. Wenn das Buch schließlich erscheint, ist der Rest lediglich Handwerk, aber die ganze Recherche und Vorarbeit findet viel früher statt. Das Buch geht frisch aus der Druckerei sofort an die entsprechenden Rezensenten, an Multiplikatoren aus Unternehmen, et cetera. Manchmal ist es auch so, dass Journalisten schon vorher einen Einblick wünschen. Dann geben wir auch schon mal Druckfahnen heraus und bekommen genau zum Erscheinungstermin eine Rezension – das ist natürlich super. Alles in allem findet ein enger Austausch statt. Die Lektoren geben zwischendurch Rückmeldung, wie sich das Projekt entwickelt oder wie sich die Zielgruppen während des Schreibens vielleicht verschieben.
Martin Glanert: Passiert es auch manchmal, dass am Ende ein anderes Buch rauskommt, als es zuvor geplant war? Oder ist das bei euch durch die Buchreihen und Themenbereiche relativ gut abgesteckt?
Ariane: Das kommt darauf an, was mit „anders“ gemeint ist. Wir bleiben schon beim Thema. :) Vielleicht kommt es vor, dass wir es in einer anderen Reihe publizieren, als es ursprünglich geplant war. Das muss man aber relativ früh entscheiden. Es passiert recht häufig, dass sich der Umfang verändert. Wenn ein Buch viel dicker wird, ist das nicht immer unproblematisch, weil es ja für eine bestimmte Zielgruppe innerhalb eines Preissegments konzipiert wurde. Wenn es dann in der Produktion viel teurer wird, wird es unter Umständen schwierig, einen Preis zu halten. Hier muss man also vorsichtig sein.
Corina: Was wir natürlich auch schon mal hatten, ist ein beinahe fertiges Buch, zum Beispiel über Joomla! oder TYPO3. Kurz vor der Veröffenlichung wird dann bekannt, dass die Open-Source-Gemeinde eine neue Version plant, die in vier Wochen erscheint und dann ist natürlich alles …
Martin Glanert: So etwas ist natürlich blöd.
Corina: Genau, dann muss man quasi von vorne anfangen. Dann wartet man auf die neue Version und schreibt das Buch um. So passiert es natürlich, dass ein Buch schon mal ein halbes Jahr verschoben wird, weil wir auf die eine Version warten, die eine längerfristige Unterstützung bietet. Und das sind natürlich äußere Einflüsse, die wir nicht kontrollieren können. In so einem Fall müssen wir aber auch flexibel genug sein, das Buch zu bringen, das die Leute brauchen, anstatt eine alte Version zu veröffentlichen.
Ariane: Ich denke, im Vergleich zum Self-Publishing wird manchem Verlag auch vorgeworfen, dass alles so schwerfällig ist und viel Zeit braucht, dass sozusagen erst übernächstes Jahr im Herbst publiziert wird. Das ist natürlich in unserem dynamischen Metier, wo es um IT und entsprechende Technologien geht, ganz anders.
Martin Glanert: Wie ist dann im Schnitt die Zeitspanne zwischen Idee, Vertragsabschluss und Fertigstellung des Buches?
Ariane: Der Autor benötigt allein für die Manuskriptphase zwischen sechs Wochen bis hin zu einem Dreivierteljahr, wenn es ein anspruchsvolles Thema ist, bei dem der Autor vielleicht eine Datenbank o.ä. aufsetzen muss, um Beispiele zu generieren, wenn er intensiv recherchieren muss – oder wenn er beruflich sehr eingespannt ist. Die Produktionsphase bis zur Drucklegung dauert 8-12 Wochen.
Martin Glanert: Ich würde ganz gerne einmal darauf kommen, dass viele Leute self-publishen, weil sie entweder bereits von den Verlagen abgelehnt wurden oder das Gefühl haben, man würde sich dort nicht für ihr Thema interessieren. Wie ist das bei euch, wann lehnt ihr die Leute ab? Habt ihr auch Autoren, bei denen ihr sagt: Die sind da an etwas dran, mit ein bisschen Coaching und Feedback ist das durchaus tragfähig? Wie viele von den ersten Konzepten kommen letztendlich durch? Oder werden diese oft noch weiter bearbeitet?
Ariane: Wenn wir Manuskripte ablehnen, heißt das nicht zwangsläufig, dass wir sie für schlecht halten. Wir müssen eben abwägen, was zu unserem Programm passt und ob das Projekt wirtschaftlich funktionieren könnte. Das heißt, die Zielgruppe muss groß genug sein. Umgekehrt, wenn es in einem Bereich schon Tonnen von Konkurrenztiteln gibt, würden wir unter Umständen entscheiden, dass sich das Projekt nicht für uns lohnt. Von daher müssen wir schon auswählen.
Corina: Wenn wir einfach bei Twitter in die Runde fragen, wozu wir Bücher veröffentlichen sollen, werden immer wieder Bücher zu sehr seltenen Programmiersprachen gewünscht. Für die entsprechenden Nutzer wären Bücher zum Thema sicher gerechtfertigt. Das Problem ist aber, dass wir in Deutschland dann vielleicht 30 oder 50 interessierte Programmierer haben, die diese Sprache überhaupt einsetzen. Das ist für uns als Verlag natürlich nicht ausreichend. Wenn aber jemand sein eigenes Buchprojekt startet und selbst veröffentlicht, hat das eine Relevanz für eben diese 50 Leute. Es handelt sich dann sicher um ein qualitativ gutes Buch, kommt für uns als Verlag aber nicht in Frage.
Ariane: Das alles kann sich natürlich ändern. Gerade bei den Belletristik-Verlagen sieht man, dass sie sich mit Self-Publishing-Plattformen zusammentun oder eng kooperieren. Schließlich werden auf diese Weise auch neue Talente gefunden. Bei uns kommt es auch hin und wieder vor, dass wir ein gutes, kostenloses E-Book gemeinsam mit dem Autor noch ein bisschen aufbohren, wenn wir glauben, dass man daraus ein kommerzielles Produkt machen kann.
Martin Glanert: Ich finde interessant, dass ihr schon ein paar Mal den „richtigen Zeitpunkt“ erwähnt habt. Das heißt also, es gibt ein optimales Zeitfenster, abhängig davon, ob es zu wenige Interessenten gäbe oder der Markt bereits übersättigt ist. Das ist ja für mich als Autor, der voll in ein Thema vertieft ist und dessen Relevanz wahrscheinlich überschätzt, schwer zu bestimmen. Wie bestimmt man dieses richtige Zeitfenster? Hängt das nur an betriebswirtschaftlichen Zahlen oder gibt es auch andere Kriterien? Zum Beispiel, dass ein neues Projekt geplant wird, weil demnächst das erste BarCamp zum Thema stattfindet?
Corina: Ja, bevor wir zu den betriebswirtschaftlichen Einschätzungen kommen, müssen wir ungefähr wissen, wie viele Exemplare wir drucken und verkaufen können. Die eigentliche Frage ist also: Wie viel können wir verkaufen? Und um das abzuschätzen, betreiben wir vorab Recherche, angefangen von der einfachen Google-Suche bis hin zur Kontaktaufnahme mit Insidern, die ungefähr abschätzen können, wie groß die Zielgruppe oder entsprechende Veranstaltungen sind. Wir versuchen uns einzufühlen, um irgendwie herauszufinden, wie viele Leute sich für eine Technologie interessieren und ein Buch in deutscher Sprache dazu kaufen kaufen würden. Sobald wir diese ungefähre Zahl ermittelt haben, kommen noch Faktoren wie ein zufälliges BarCamp in einem halben Jahr hinzu. Manchmal sind es auch äußere Faktoren. Wenn zum Beispiel die NSA ein großes Thema in den Medien ist, kann man da marketingtechnisch gut anknüpfen. Unter Umständen werden auch Themen wieder aktiv, die vorher lange in der Versenkung verschwunden waren. Man kann das nicht immer abschätzen, aber manchmal merkt man einfach, dass ein Thema gerade in der Luft liegt. In so einem Fall würden wir uns auch dafür entscheiden. Manchmal geht es auch ums Image – was passt zu uns, was ist ein Buch, das wir unbedingt im Programm haben wollen, weil es ein typisches O’Reilly Thema ist?
Martin Glanert: Was wäre denn eine Mindestzahl, damit sich diese ganze Verlagsmaschinerie für euch überhaupt lohnt?
Ariane: Bei Fachbüchern peilen wir etwa 1500 Exemplare als erste Auflage an. Wobei wir immer darauf achten, auf Entwicklungen schnell reagieren zu können und den Lagerbestand gering zu halten, weil es auch notfalls per POD möglich ist, Kleinstauflagen nachzuschieben, bevor eine richtige Neuauflage kommt. Für die betriebswirtschaftliche Rechnung stellt sich natürlich auch die Frage: Wie teuer ist das Buch, wie lange hält es? Es gibt ja Themen, die sehr, sehr haltbar sind.
Martin Glanert: Ihr habt bereits erzählt, dass ihr teils nach Leuten sucht, die schon eine bestimmte Stellungen in ihrer Nische oder frühere Publikationen haben. Wie verhält sich ein Buch zum Expertenstatus der Person? Was sind da eure Erfahrungen?
Ariane: Im Unterschied zum Self-Publishing ist es für viele unserer Experten-Autoren nützlich, ihre Kompetenz über das gedruckte, physische Buch nochmals unter Beweis zu stellen. Sie zeigen ihr Buch gerne auf Konferenzen oder als Visitenkarte gegenüber Kunden, wenn sie im Consulting-Bereich tätig sind. Das ist für viele eine wichtige Motivation, weil gerade im IT-Bereich die Leute, wenn sie an einem hochkarätigen Projekt mitarbeiten, ganz andere Umsätze erzielen, als es alleine mit der Buchpublikation möglich wäre. Das ergänzt sich dann häufig sehr schön.
Martin Glanert: Ist so ein Buch dann eigentlich eher eine Nullnummer für die Leute? Also, dass die investierte Zeit durch das Autorenhonorar so ungefähr ausgeglichen wird und der eigentliche Gewinn die Werbung ist?
Corina: Das kann man nicht pauschal sagen. Da gibt es hauptberufliche Autoren, die insbesondere Bücher über einzelne Gadgets oder Technologien ziemlich professionell runterschreiben. Die können damit natürlich mehr verdienen. Oder Autoren, die generell massentauglichere Themen besetzen. Bei größerem Absatz hat man auch mehr auf der Tantiemenabrechnung, das ist ja ganz klar. Andererseits gibt es Autoren, die in Nischen schreiben, aus denen man eben nicht den Bestseller-Titel rausholen kann. Der große Erfolg definiert sich dann eher darüber, ob sie wirklich alle aus ihrer Zielgruppe erreicht haben, also ob jeder das Buch in der Community wahrnimmt. Das ist dann zahlenmäßig vielleicht nicht vergleichbar mit Titeln wie Harry Potter oder unserem „Linux – kurz & gut“ zum Beispiel. Erfolg bedeutet hier also, dass es in der Community und bei den Fachleuten angekommen ist und weiterempfohlen wird. Ein qualitativer Erfolg sozusagen.
Martin Glanert: Es ist also ganz wichtig, vorher auch die eigene Zielsetzung klar zu definieren. Buch ist nicht gleich Buch, sondern kann zu ganz verschiedenen Zwecken dienen.
Ariane: Ja.
Corina: Ja.
Martin Glanert: Wenn ihr an jemanden denkt, der mit seiner Idee bei verschiedenen Verlagen abgelehnt wurde, jedoch weiß, dass es einen Markt bzw. eine Nische dafür gibt… Was sind eurer Meinung nach die wichtigsten Schritte, die so ein Verlag normalerweise zur Unterstützung bietet, die man auch als Self-Publisher für sich beachten kann? Wenn ich mal zusammenfasse, was ich bisher von euch gehört habe, wäre es schlau bereits in einer frühen Phase – sowohl im Marketing als auch konzeptionell – mit anderen Leuten zusammenzuarbeiten.
Ariane: Corina ist vorhin schon darauf eingegangen, es ist wichtig, sich die eigentliche Zielgruppe zu vergegenwärtigen. Für uns gleicht ein Buch einem Produktversprechen – es soll etwas ganz Bestimmtes leisten. Das darf man nie aus den Augen verlieren. Wir fragen uns daher, was wir mit einem Text eigentlich anbieten wollen. Was soll der Leser am Ende können soll, wenn er das Buch durchgearbeitet hat? Stimmt der didaktische Aufbau? Wie wichtig ist der Einsatz von Grafiken? Will ich eher ein modulares Nachschlagewerk oder soll es ein Tutorial sein, also eine Einführung, in der jemand Schritt für Schritt etwas lernt?
Martin Glanert: Für mich als Laien sind solche Fragen natürlich nicht so grundlegend. Ich habe wahrscheinlich alle Buchtypen schon einmal gesehen, ohne diese bewusst als Typ-Kategorie wahrzunehmen. Gibt es auch Leute außerhalb des Verlages, die einem dabei helfen können?
Ariane: Es gibt externe Dienstleister und hier auch gute Leute. Allerdings glaube ich, dass es nicht so leicht ist, die in der Masse der Anbieter auch zu finden. Denn unter dem Label „Lektor“ kann man auch an jemanden geraten, der ein reines Duden-Sprachkorrektorat macht. Wenn man jedoch mehr möchte, also eine konzeptionelle Begleitung, muss man schon intensiver suchen.
Corina: Gerade, wenn es um Fachbücher geht. Es ist einfach ein Unterschied, ob ich einen belletristischen Text lektoriere oder eben einen Text über TYPO3 CMS, Version 6.2. Der Unterschied liegt in der Ansprache der Zielgruppe im Text und auch in der Didaktik, also: Wie bereite ich Inhalte auf, damit meine Leser auch alles nachvollziehen können? Wenn das Buch zum Beispiel Übungen enthält, brauche ich jemanden, der einmal ganz unbedarft testet, ob diese funktionieren oder Fehler enthalten. Wenn man nur alleine arbeitet, geht so etwas natürlich verloren. Als Verlag bringen wir hingegen auch Fachgutachter ins Spiel. Ich würde also zustimmen, dass man frühzeitig externe Korrektoren oder Gutachter einbinden sollte. Wie weit man das auf freundschaftlicher Ebene macht oder durch professionelle Unterstützung, das bleibt natürlich jedem selbst überlassen. Das wäre jedoch etwas, das wir unseren Autoren schon frühzeitig bieten können.
Martin Glanert: Am Anfang habt ihr erzählt, dass es manchmal einfacher ist, innerhalb einer bestehenden Reihe zu publizieren. Als Autor sozusagen keinen Zug ins Rollen zu bringen, sondern seinen Waggon irgendwo anzukoppeln. Inwieweit bekommen die Autoren dann schon ein fertiges Template oder verweist ihr einfach auf frühere Titel in der Reihe?
Ariane: So strikt ist es nicht, dass man in ein bestimmtes Template schreibt. Das gibt es bei manchen Massenmarkt-Titeln, wir arbeiten jedoch nicht auf diese Weise. Es gibt natürlich eine Strukturvorgabe, ein bestimmtes Briefing. In der Regel schaut sich der Autor auch andere gelungene Exemplare der Reihe an. Dank des Reihenformats ergibt sich natürlich eine Art Cross-Selling-Effekt. Wenn ich beispielsweise als Web-Entwickler schon ein CSS-Buch habe, kaufe ich mir vielleicht auch noch eines über JavaScript dazu.
Martin Glanert: Wo man sich dann nicht mehr komplett reindenken muss?
Ariane: Ja, aber auch einfach, weil ich über das eine Buch darauf stoße, dass es das andere überhaupt gibt.
Corina: Das ist ja generell wie bei allen Produkten. Wenn ich mit einem Produkt gute Erfahrungen gemacht habe, werde ich auch eher auf das Nachfolgeprodukt aufmerksam.
Martin Glanert: Könnt ihr noch ein bisschen über euer Social Network sprechen, das ihr euch aufbaut? Ich meine den Kreis der Autoren, aber auch Veranstalter, Blogger und so weiter.
Corina: Wir begreifen uns als Verlag eigentlich von jeher als Plattform für verschiedene Gruppen, genau wie O’Reilly-Media in den USA. Das heißt, wir versuchen irgendwie alle miteinander zu verbinden und in Kontakt zu bringen. Seit mehr als 30 Jahren unterstützen wir verschiedene User-Groups, früher vor allem Linux-User-Groups, heute auch vermehrt BarCamps. Früher waren das auch kleinere Veranstaltungen, etwa Linux-Installparties, bei denen wir dann mit unseren Büchern vertreten waren. Es läuft relativ unkompliziert: Wir geben solche Events über unsere Netzwerke bekannt – über Twitter, Facebook, Google+, manchmal XING, über das Blog. Durch unsere Kanäle erreichen die Veranstalter noch mal andere Leute und wir bekommen die Chance, einen Einblick in die Szene zu erhalten, zum Beispiel wer die Speaker sind und welche Themen dort besprochen werden. Im Idealfall werden dann aus Speakern neue Autoren oder Rezensenten von uns.
Martin Glanert: Okay, wow, das war sehr viel Input bisher. Wie seht ihr die Zukunft? Ihr sagtet ja bereits, dass die Vertriebsplattformen langsam ineinander übergehen. Self-Publishing ist salonfähig geworden und Verlage suchen die Zusammenarbeit mit talentierten Autoren, sowie potenzielle Projekte.
Ariane: Im Bezug darauf, dass Self-Publishing salonfähig geworden ist: In der Open-Source-Bewegung hat es schon immer dazugehört, alles zu dokumentieren. So gesehen ist es für uns nichts völlig Neues, dass IT-ler ihr Wissen weitergeben – früher vielleicht über Blogs, heutzutage teilweise über Self-Publishing-Titel. Für die Zukunft müssen wir Möglichkeiten finden, der enormen Dynamik bei unseren Themen gerecht zu werden, indem wir dynamischer und schneller publizieren. Das E-Book wird sicherlich auch deswegen weiter an Bedeutung gewinnen. Die Kollegen in den USA sprechen grundsätzlich von einer Integrated Media Strategy, das heißt, sie versuchen die Synergien zwischen eigenen Konferenzen und Buchpublikationen zu nutzen.
Corina: Das ist am Ende wieder die Idee, dass alle Plattformen und Communities zusammengebracht werden müssen. Die BarCamp-Bewegung ist ja eigentlich aus einer O’Reilly-Veranstaltungsreihe namens Foo Camp entstanden. Wir sind nicht per se gegen Self-Publishing – ganz im Gegenteil. Es gibt eben Themen oder Autoren, die im Self-Publishing durchaus erfolgreich sind. Andere Themen sind wiederum bei uns sehr gut aufgehoben und funktionieren.
Martin Glanert: Also, ein wichtiger Punkt, den ich aus diesem Gespräch mitnehme, ist, dass es einfach klar gesteckte Grenzen gibt, in denen ein Verlag sozusagen aktiv wird. Wenn mein Buch nicht ins Programm oder das Selbstverständnis passt, heißt das nicht unbedingt, dass es schlecht ist.
Corina: Genau, oder man wusste vielleicht auch nicht voneinander – wie im Fall Annette Schwindt. Die hat ein erfolgreiches E-Book zu Facebook geschrieben, aus dem wir zusammen ein ebenso erfolgreiches Buch gemacht haben. Das Manuskript oder das ehemalige Free-Book wurde natürlich noch einmal aufgewertet. Da entstehen einfach Synergien, die wirklich sinnvoll sind und Spaß machen.
Ariane: Dank Blogs und YouTube-Videos müssen wir in Zukunft als Verlag auch genauer überlegen, welches Format sich am Besten für ein Thema eignet. Es gibt so viele mediale Angebote, die für bestimmte Zwecke besser geeignet sind als Bücher. In diesem Sinne hat sich die mediale Welt sehr verändert und Verlage müssen schauen, wie sie sich positionieren und weiterhin möglichst nützliche Produkte anbieten können. Einfach immer wie bisher weiterzumachen, wird nicht funktionieren.
Martin Glanert: Das heisst, das Bücher heutzutage auch mit YouTube-Kanälen, Screencast-Tutorials oder Fach-Blogs konkurrieren?
Ariane: Ja, unser Social Media Buch hat zum Beispiel die re:publica als Konkurrenz und so weiter.
Corina: Im Idealfall befruchtet sich das gegenseitig oder kann man gemeinsame Aktionen starten. Wenn wir beispielsweise ein Buch zu einer Technologie rausbringen, versuchen wir natürlich auch die Blogs, die dazu publizieren, zu einer Rezension zu bewegen. Wir versuchen natürlich immer, mit den Leuten zusammenzuarbeiten, um im großen Spiel wahrgenommen zu werden.
Martin Glanert: Coacht ihr die Autoren auch in diesem Bereich beim Selbstmarketing? Nach dem Motto: Mach doch mal ein YouTube-Video?
Corina: Das variiert. Da gibt es Leute, die sowieso schon sehr engagiert sind und andere, die das nicht wollen oder können, weil sie in ihrem beruflichen Umfeld sehr eingebunden sind. Wir versuchen aber, die Autoren so gut wie möglich zu unterstützen.Das fängt bei Flyern an, die wir den Leuten mit geben, wenn sie irgendwo sprechen und hört bei inhaltlicher Unterstützung auf. Viel passiert natürlich über Social Media, das ist klar. Wenn zum Beispiel Thomas Schwenke, der Autor von unserem Rechtsbuch, wieder einen super Artikel in seinem Blog veröffentlicht hat, ist es natürlich logisch, dass wir diesen überall teilen und re-tweeten. Social Media Kanäle sind da wirklich ein tolles Werkzeug.
Martin Glanert: Interessant, man wird dann praktisch angedockt an dieses soziale Netzwerk von Leuten …
Corina: Genau, angedockt, eingepflanzt und einverleibt.
Martin Glanert: Okay, super, ich bedanke mich ganz herzlich.
Ariane: Wir bedanken uns für dein Interesse.
Martin Glanert: Ich glaube, für viele Leute ist es sehr spannend, einen Einblick in eure Arbeit zu bekommen. Ich hoffe, dass nach diesem Interview Vieles deutlicher geworden ist und es dem ein oder anderen dadurch leichter fällt, mit seinem Projekt bei einem Verlag unterzukommen oder Inspiration für die eigene Publishing-Strategie zu finden.
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